Heimatfilm über ein kleines italienisches Bergdorf. Im Winter 1944 suchen zwei Deserteure dort Schutz und wirbeln das Gemeinschaftsleben gehörig durcheinander. Der Patriarch pocht stur auf seine Macht und lauscht einsam seinen Vivaldi-Platten. Eine junge Frau verliebt sich heimlich in den schweigsamen Fahnenflüchtigen. Die Tragödie in den verschneiten Bergen scheint unausweichlich. In der Geschichte knirscht es bisweilen im Klischee-Gebälk. Dafür sorgen die grandiosen Bilder vom kargen Alltag in den Alpen für visuelle Wow-Effekte.
Über den Film
Originaltitel
Vermiglio
Deutscher Titel
Vermiglio
Produktionsland
ITA,FRA,BEL
Filmdauer
119 min
Produktionsjahr
2024
Regisseur
Delpero, Maura
Verleih
Piffl Medien GmbH
Starttermin
05.06.2025
„Du hast mir bei zehn Geburten kein einziges Mal Blumen gebracht!“ schimpft die Mama mit dem Gatten und freut sich über das kleine Geschenk vom ältesten Sohn. „Die hat er vom Nachbarn gestohlen!“, zetert der frischgebackene Papa. „Beschimpf du nicht mein Kind!“. Wenn es um ihre Kinder geht, kämpft Adele wie eine Löwin. Ansonsten hat sie nicht viel zu sagen, ihr Gatte Cesare gibt als Dorflehrer gern den Gernegroß und gefällt sich als Patriarch.
Das karge Leben im titelgebenden Alpendorf geht auch in Kriegszeiten seinen gewohnten Gang. Doch plötzlich kommt das Frontgeschehen in das verschneite Vermiglio. Denn Attilio hat sich unerlaubt von der Truppe entfernt. Von seinem sizilianischen Kollegen Pietro wird er auf den Schultern in sein Heimatdorf getragen. Die beiden Deserteure sorgen für Aufregung unter den Bewohnern. In der Großfamilie von Cesare sind die Mädchen begeistert von der männlichen Abwechslung im Alltagstrott. Lucia, die älteste Tochter, verliebt sich heftig in Pietro, der am Rande des Dorfes ein Versteck gefunden hat. Auch ihre Schwestern schwärmen für den Fremden. Noch mehr träumen sie allerdings davon, dass ihr strenger Vater sie auf die Schule in der Stadt schicken wird. Der Sturkopf will freilich noch nicht einmal seinem ältesten Sohn als Lehrer behilflich sein: „Für die Feldarbeit braucht er keinen Abschluss!“, lautet das Urteil von Papa Gnadenlos.
Bei ihrer autobiografisch angehauchten Familiensaga setzt Regisseurin und Drehbuchautorin Maura Delpero ein bisschen zu sehr auf stereotype Figuren, die bisweilen schlicht gestrickt und eindimensional ausfallen. Besonders originell fällt die bekannte Geschichte vom strengen Patriarchen und seiner chronisch unterdrückten Familie kaum aus. Erzählerisch wirkt das Tempo arg bedächtig, derweil die Entwicklung kaum voran kommt. Viel besser präsentiert sich die visuelle Bilanz, die bildgewaltig vom harten Alltag im Alpendorf erzählt. Vor einer postkartenidyllischen Naturkulisse muss die Wäsche im Eiswasser gewaschen werden. Gleich zu Beginn wird deutlich, wie sorgfältig, souverän und effizient die Bilder komponiert sind: Das Melken der Kuh. Das langsame Erwachen der Groß-Familie. Ein halbes Dutzend Becher wird nach und nach mit etwas Milch gefüllt. Dann sitzen alle gemeinsam am Tisch zum bescheidenen Frühstück. Wenn später die Strohballen durch den Schnee gezogen werden, sind auch solche Mühen wunderbar fotografiert.
Der liebevolle Blick für Details überzeugt in diesem Heimatfilm durchgehend. Ergänzt werden die visuellen Welten durch effektive Soundeffekte. Ob minutenlang plärrende Babys, nachts flüsternde Kinder oder vielfach gackernde Hühner – der in die Länge gezogene Klangteppich sorgt so für zusätzliche Stimmung und Atmosphäre.
Als archaisches Familiendrama kann die Zeitreise in die alpine Dorfwelt dramaturgisch nicht immer überzeugen. Visuell lohnt sich diese cineastische Bergtour umso mehr.
Dieter Oßwald