Am Ende von Albert Serras bemerkenswertem, oft schwer zu ertragenden Film über den Stierkampf bleibt offen, wer in den gleißend hellen Momenten am Nachmittag der Einsame ist: Der Stier, der unweigerlich den Tod in der Arena finden wird, oder der Torero, Teil eines blutigen, archaischen Rituals, den Serra in seinem Dokumentarfilm „Tardes de Soledad – Nachmittage der Einsamkeit“ schonungslos, aber ohne Wertung zeigt.
Über den Film
Originaltitel
Tardes De Soledad
Deutscher Titel
Tardes De Soledad – Nachmittage der Einsamkeit
Produktionsland
SPA, FRA, POR
Filmdauer
125 min
Produktionsjahr
2024
Regisseur
Serra. Albert
Verleih
Filmgalerie 451 GmbH & Co. KG
Starttermin
01.05.2025
Eine halbe Tonne schwer ist das Tier, dass den Torero gegen die Umgrenzung der Arena rammt, ihn einquetscht und erst durch die Hilfe zahlreicher Assistenten von ihm lässt. Wie der Stier heißt erfährt man nicht, der Name des Torero lautet Andrés Roca Rey, ein junger Mann aus Peru, der zu den aufstrebenden Stars des ebenso traditionsreichen wie umstrittenen Stierkampfes zählt, einer, ja, was eigentlich? Einer Sportart? Einem Massaker? Einem Ritual?
Früher hat sich kaum jemand, erst recht nicht in Spanien, Gedanken über Sinn und Zweck oder gar die Moral des Stierkampfes gemacht, da war das von Machismo geprägte Ritual normaler Teil der iberischen Kultur, da schrieben Autoren wie Ernest Hemingway euphorische Bücher wie „Tod am Nachmittag“, in denen sie die heroischen Männer in ihren bunten Kostümen verklärten, die sich in der Arena einem Wesen entgegenstellten, das sie auf die Hörner nehmen wollte.
Doch die Zeiten haben sich geändert, auch in Spanien kämpfen viele Gruppen für die Abschaffung des Stierkampfes, wollen die legendärste aller Arenen schließen: Las Ventas, in Madrid gelegen, vor der Statuen berühmter Toreros stehen, wo Männer, die ihr Leben im Kampf gegen den Stier aufs Leben setzen, so gefeiert werden wie sonst nur die Helden des runden Balls im ein paar Kilometer weiter stehenden Stadion von Real Madrid.
Hier vor allem drehte Albert Serra seine immersive Dokumentation „Tardes de Soledad – Nachmittage der Einsamkeit“, die ganz beim Torero und dem Stier bleibt. Keine Totale zeigt die Arena oder die tausenden Zuschauer, die dem blutigen Ritual beiwohnen, keine Interviews oder Erklärungen liefern Kontext. Stattdessen Großaufnahmen vom Körper Andrés Roca Reys, eines ausgesprochen attraktiven Mannes, der sich vielfach bekreuzigt, bevor er in sein Kostüm gequetscht wird, das bald von Blut trieft – seinem eigenen und dem des Stiers.
Daneben stehen Großaufnahmen des Stiers, seiner intensiven Augen, den Wunden am Rücken, die ihm von den Banderillas zugefügt werden, Spieße mit Widerhaken, die den Stier langsam ausbluten lassen, sein anfangs noch makelloses Fell nach und nach mit Blut tränken.
Es ist kein gerechter Kampf, der in der Arena ausgetragen wird, nur der Stier ist allein und dem Tod geweiht, während der Torero von zahlreichen Assistenten umgeben ist, die den Stier vorbereiten und ihn schwächen.
Doch wenn Roca Rey den Stier umtänzelt, ihn mit dem roten Tuch lockt, dann sogar auf die Knie geht, sich dem massiven Wesen entgegenstellt, wohnt diesem Duell eine heroische Note inne. Dessen sexuelle Konnotation nicht zu übersehen ist, die von Serra immer wieder unterschwellig herausgestellt wird: Wenn Roca Rey sich ankleidet, in einem hautengen Kostüm, mit rosa Beinkleidern, aber auch in den Anfeuerungen seiner Helfer, deren Sprache vulgär und direkt ist, von puta madres und cojones geprägt.
Ob dieses archaische Ritual eine besondere Form des lateinamerikanischen Machismo darstellt oder einen brutalen Exzess, der keinen Platz mehr in einer modernen Gesellschaft haben sollte: Albert Serra überlässt diese Entscheidung dem Zuschauer. Kein Film für empfindlsame Gemüter ist „Tardes de Soledad – Nachmittage der Einsamkeit“, die Gewalt, die gegen Tier und Mensch ausgeübt wird, ist oft schwer zu ertragen, aber auch Teil dieses uralten Rituals, dieser Tradition, die sich trotz allem erhalten hat. Allein das macht den Stierkampf bemerkenswert, wenn auch nicht notwendigerweise schützenswert.
Michael Meyns