Memory Books

Allein in Uganda kämpfen 2 Millionen Waisen nach dem Aids-Tod ihrer Eltern ums Überleben. Inzwischen schreiben tausende der HIV-infizierten Mütter im Rahmen eines „Memory Project“ Erinnerungsbücher für ihre Kinder. Christa Grafs sensible Erzählung über bewusstes Abschiednehmen und Identitätsfindung ist eine der bewegendensten Dokumentationen der letzten Jahre.

Webseite: www.memorybooks-film.com

Dokumentation
R+B: Christa Graf
Sprecherin: Eva Mattes
L: 90 Min.
Stardust Filmverleih
Kinostart: 1.5.2008
Auszeichnungen: Grand Prix des Jeunes Europèens, 
FBW: Prädikat besonders wertvoll

PRESSESTIMMEN:



FILMKRITIK:

In Afrika ist Aids ein Alltagsthema. Schon in den überfüllten Schulklassen sagen die Kinder im Chor auf, wie sie sich schützen können: „Aids überträgt sich durch ungeschützten Sex mit einer infizierten Person.“ „Sei dem Partner immer treu, damit du lange am Leben bleibst.“ Sätze wie diese sollen Tabus aufbrechen, denn weiterhin  geben die Männer es selten zu, sich infiziert zu haben, ungeachtet ihrer Frauen und Kinder.

Harriet wurde von ihrem Mann, einem Elektrotechniker, infiziert. Bis zu seinem Tod stritt er ab, den Virus in sich zu tragen. Dessen im gleichen Haus lebende Zweitfrau Elisabeth hatte 5 Kinder geboren, drei von ihnen sind schon gestorben. Vermutlich an Aids. Ihr Mann erlaubte ihr nicht, darüber zu sprechen.

Jeden Mittwoch werden im  Krankenhaus der nahegelegenen Stadt Iganga  Aids-Test durchgeführt. Die Krankenschwester Christine ist ebenfalls HIV-positiv. Nach einer Phase der Depression und Wut bringt sie den infizierten Frauen bei, wie sie die „Memory Books“ schreiben. Sie erlebt, wie sehr  dieser bewusste Umgang mit dem eigenen Leben die Psyche und das Immunssystem stärkt.

Ohne seine Wurzeln ist ein Mensch nichts wert, weiß Harriet. Die Verbindung zu den Ahnen, und das Vertrauen in ihren Schutz gehören fest in ihr Glaubenssystem. Die „Memory Books“ bringen sie dahin, sich immer wieder neu auf ihre Kinder einzulassen. Die Bücher sollen ihnen ein Ratgeber sein, wenn sie nicht mehr da ist.

Harriet setzt sich zusammen mit ihrer  jüngsten Tochter Winnie auf den Fußboden und schreibt in das Buch ihre Familiengeschichte und Ereignisse aus Winnies frühester Kindheit. „Du warst ein besonders schönes Baby und jeder wollte dich sehen.“ Winnie möchte noch nicht einmal ihre Verwandten besuchen: „Ich bleibe bei dir. Was ist, wenn ich zurückkomme und du bist tot?“

Der 10jährige Dennis erzählt unter Tränen, dass er vor einem Jahr seine Mutter verlor: „Jetzt gibt es niemanden mehr, der sich um mich kümmert. Mit dem Buch können wir uns an all das Gute erinnern, was sie für uns getan hat. Wenn ich es meiner kleinen Schwester vorlese, ist es so, als würde sie zu uns sprechen.“

40.000 Frauen schreiben inzwischen an Memory Books. Das Memory Project, von der 1992 in Uganda gegründeten Organisation NACWOLA  – „National Community of Women Living with Aids“  – ins Leben gerufen, soll bis 2010  etwa 10 Millionen Kinder erreichen.

Die in Afrika -Themen versierte Münchner Dokumentarfilmerin Christa Graf („Ruanda – Zurück ins Leben“, „Die Sheldrick Elefanten“) wirft auch Blicke auf die äußeren Umstände: Auf dem Transafrican-Highway prostituieren sich viele junge Frauen aus Armut. Tischler verzieren Särge in allen Größen. Jugendliche klettern für einen Initiationsritus auf einen Berg. Ein Untersuchungsgefängnis beherbergt zugleich ein Waisenhaus. Ein traditioneller Heiler spricht über den Nutzen westlicher Medizin. Aber eine Stellungnahme der Regierung kommt nicht vor. Es geht darum, wie sich die Menschen selber helfen.

Ihre traurigen Geschichten finden in der poetisch -schönen und ruhigen Fotografie von Kameramann Roland Wagner einen würdevollen Rahmen. Die roten Erdtöne und leuchtend grünen, fruchtbaren Landschaften geben einen großen Hintergrund. Selten wurde im Kino so klar, offen und unprätentiös gezeigt, wie todkranke Menschen ihre Angehörigen auf das Weiterleben vorbereiten.

Dorothee Tackmann

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