In ihrem geschickt konstruierten Genre-Mix aus Drama und Polit-Thriller spielt Angelina Maccarone konsequent durch, was geschieht, wenn die Lebensrealitäten eines naiven Migranten aus Marokko und einer konservativen deutschen Hardlinerin aufeinanderprallen.
Über den Film
Originaltitel
Klandestin
Deutscher Titel
Klandestin
Produktionsland
FRA,USA,DEU
Filmdauer
124 min
Produktionsjahr
2024
Regisseur
Maccarone, Angelina
Verleih
Farbfilm Verleih GmbH
Starttermin
24.04.2025
Der schwule Maler Richard (Lambert Wilson) hat seine verregnete englische Heimat mit dem sonnigen Marokko vertauscht. Dort genießt er nicht nur das freie Künstlerleben, sondern er hat sich auch in den jungen Malik (Habib Adda] verliebt. Malik träumt von Europa, dort will er ein neues Leben anfangen. Als die Beschaffung eines Visums scheitert, packt Richard Malik kurzerhand zu den Gemälden für eine Ausstellung in seinen Van und schmuggelt ihn von Marokko nach Frankfurt. Dort muss Richard auf die Schnelle eine vorübergehende Unterkunft für Malik organisieren und bittet ausgerechnet seine Freundin aus alten Zeiten und jugendlichen Hippietagen um Unterstützung: Mathilda Marquardt (Barbara Sukowa) ist mittlerweile jedoch eine konservative Politikerin geworden, die sich gern mit markigen Sprüchen zu Flüchtlingsfragen profiliert. Aber dem charmanten Richard kann niemand etwas abschlagen. Deshalb willigt Mathilda widerstrebend ein und nimmt Malik heimlich bei sich auf. Schließlich hat sie ja Amina El Hazzazz (Banafshe Hourmazdi), eine persönliche Assistentin mit abgeschlossenem Jurastudium und marokkanischen Wurzeln, die wird das illegal immigrierte Kind schon schaukeln. Und Malik wird ja wohl einige einfache Regeln befolgen können, z. B. die Wohnung nicht verlassen, das kann doch nicht so schwer sein! Doch Malik will natürlich Frankfurt erkunden und löst so eine Kette von verhängnisvollen Ereignissen aus, die alle Beteiligten in Schwierigkeiten bringen werden …
Angelina Maccarone eröffnet ihren Film mit einer Einstellung der Frankfurter Skyline … ein Bild voller Verheißung: Hier ist die Marktwirtschaft zuhause, hier werden Träume wahr, hier wird Wohlstand gemacht! Doch dann erschüttert eine Explosion die Szene, eine Bombe ist in der Frankfurter Innenstadt explodiert. Von diesem Anschlag ausgehend, beginnt die Regisseurin und Drehbuchautorin, ihre Geschichte aus vier verschiedenen Perspektiven zu erzählen, wobei sie zeitlich immer wieder vor- und zurückspringt. Das kann anfangs ein wenig verwirrend sein, hier ist also Aufmerksamkeit gefragt, doch je länger der Film dauert, desto klarer werden die Zusammenhänge, desto deutlicher werden die Absichten, Sehnsüchte und Ziele der handelnden Personen.
Die Perspektiven bündeln sich zu einem kaleidoskopartigen Porträt der gegenwärtigen, von wachsendem gegenseitigen Misstrauen gekennzeichneten Gesellschaft. Dabei enthält sich Angelina Maccarone jeglicher Wertung. Sie zeigt die Bilder, ohne zu sympathisieren oder Partei zu ergreifen. Und Gewissheiten lässt sie ebenfalls nicht zu. Wer sich anfangs ein Urteil über eine der Personen gebildet hat, wird es irgendwann revidieren müssen. Ganz wie im wirklichen Leben sind die Dinge meist nicht so, wie sie zu sein scheinen.
„Klandestin“ ist dabei nicht nur emotionales Drama und Politthriller, sondern vor allen Dingen auch ein Schauspielerfilm. Insbesondere in den Szenen zwischen Lambert Wilson und Barbara Sukowa knistert es vor Spannung: Wie diese beiden Ausnahmeschauspieler durch Mimik, Blicke und scheinbar belanglose Details ihren Figuren Vergangenheit und Tiefe verleihen, ist einfach großartig – eine Etüde in Sachen Schauspielkunst.
Angelina Maccarone hat sich mit „Klandestin“ zudem auf die Spuren Claude Chabrols begeben. Sie hat eine Polit-Thriller-Handlung mit politischer Analyse und beißender Gesellschaftskritik verknüpft, ohne dabei die intelligente Unterhaltung des Publikums zu vernachlässigen. Und sie weiß, was die größten Sprücheklopfer in den derzeit heftig emotional geführten Debatten zum Thema Migration gemeinsam haben: Meist kennen sie die Menschen, die ihre Heimat gegen eine ungewisse Zukunft in einem fremden Land eintauschen, nur vom Hörensagen. Filme, die zudem wie „Klandestin“ eine klare Haltung zeigen, ohne das Publikum zu bevormunden, sind rar gesät. Und das macht den Film noch sehenswerter.
Gaby Sikorski