Kann ein Fluss Rechte haben? Dieser auf den ersten Blick seltsam anmutenden Frage geht Petr Lom in seinem Dokumentarfilm „I am the River, the River is me“ nach, der eine lange, mäandernde Reise auf dem neuseeländischen Fluss Whanganui zum Anlass für Reflexionen über den Umgang mit der Natur, aktivistischen Umweltschutz und eines Lebens im Einklang mit der Natur nimmt.
Über den Film
Originaltitel
I Am The River, The River Is Me
Deutscher Titel
I Am The River, The River Is Me
Produktionsland
NED, NOR, NZL
Filmdauer
88 min
Produktionsjahr
2024
Produzent
van Egeraat, Corinne
Regisseur
Lom, Petr
Verleih
mindjazz pictures UG
Starttermin
08.05.2025
Als Aotearoa bezeichnen die Māoris Neuseeland, ihre Heimat, die sie schon lange vor der Besiedlung durch Europäer bevölkerten. „Land der langen weißen Wolken“ lautet eine Übersetzung des Begriffs, was andeutet, wie sehr das Leben im Einklang mit der Natur für die Māoris eine Selbstverständlichkeit war.
Bekanntermaßen gingen Europäer und ihre Nachkommen in der westlich dominierten Welt ganz anders mit der Natur um, nutzen sie aus, verschmutzen sie und begannen erst in den letzten Jahrzehnten zu erkennen, dass Umweltschutz kein Elitenprojekt darstellt.
Gleichzeitig begann ein kritischerer Umgang mit der Kolonialzeit, ihren Verbrechen, dem Umgang mit den Ureinwohnern unterschiedlicher Regionen, deren Rechte beschnitten, deren Lebensgrundlagen meist angegriffen, wenn nicht vernichtet wurden. Immer aktiver kämpfen auch in Neuseeland die Ureinwohner um ihre Rechte, auch wenn das bedeutet, einen nicht immer einfachen Spagat zwischen einem traditionellen Leben und dem Umgang mit den durch Europäer eingeführten Institutionen wie dem parlamentarischen System oder juristischen Möglichkeit zu finden.
Vor einigen Jahren gelang dabei etwas ungewöhnliches: Der Fluss Whanganui, den die Māoris als geradezu heilige Lebensader des Landes verehren, wurde zur juristischen Person erklärt, der Fluss hat also quasi Rechte, die einzuklagen sind. Eine Art Vorreiter ist der Whanganui damit in gewisser Weise, inzwischen wurde weltweit immer mehr Flüssen, aber auch Lagunen oder Meeren der Status einer juristischen Person zugestanden, um oft auch erfolgreich auf Einhaltung von Umweltschutz zu klagen.
In die juristischen Feinheiten dieser Thematik taucht Petr Lom in seinem Dokumentarfilm „I am the River, the River is me“ nun nicht ein, auch wenn diese durchaus interessant und auch nicht ganz unproblematisch erscheinen. Ein Fluss oder auch andere Elemente der Natur (oder auch Tiere, denen manche Aktivisten ebenfalls juristische Rechte zusprechen wollen) können sich offensichtlicherweise nicht selber äußern, zumindest nicht in einer für Menschen verständlichen Weise. Es müssen also immer Menschen als Vertreter eines Flusses agieren und im Sinne des Flusses argumentieren, was dann wiederum die Frage aufwirft, warum ausgerechnet dieser oder jener Mensch zu wissen glaubt, was eigentlich im Interesse des Flusses sei.
Vermutlich sollte man den Status eines Fluss als juristische Person also vor allem als Symbol verstehen, als wichtigen Schritt auf dem Weg zur Anerkennung der Bedeutung von Natur. Nicht nur für eine Bevölkerung wie die neuseeländischen Māoris, sondern für uns alle. Denn wie Loms Film zeigt, leben natürlich auch die Māoris nicht mehr in traditioneller Weise mit und auf dem Fluss, sondern tragen Funktionskleidung und fahren mit von Außenbordmotoren angetrieben Booten auf dem Fluss.
Auf der im Film dokumentierten Fahrt werden sie von allerlei Aktivisten aus aller Welt begleitet, die Erfahrungen teilen, den Geschichten der Māoris lauschen und das von dieser Reise mitnehmen, was auch der Kinozuschauer mitnehmen kann: Ein Verständnis dafür, dass auch ein Fluss keineswegs nur ein Fluss sein muss, sondern das er mehr ist: Auf seine Weise ein Lebewesen, nicht unbedingt wie ein Mensch, aber auf seine Weise ebenso eigen, wertvoll und vor allem schützenswert.
Michael Meyns