Ein Vorwurf, der dem deutschen Kino oft und zurecht gemacht wird, ist das Setzen auf Thesenfilme, die sich einem betont „wichtigen „Thema annehmen und allein dadurch schon Bedeutung erreichen oder vielmehr vortäuschen. Mehmet Akif Büyükatalay „Hysteria“ persifliert nun diese Art des Kinos, läuft mit seiner fraglos ambitionierten Struktur jedoch immer wieder Gefahr, in genau die Falle zu tappen, die er oft so pointiert dekonstruiert.
Über den Film
Originaltitel
Hysteria
Deutscher Titel
Hysteria
Produktionsland
DEU
Filmdauer
104 min
Produktionsjahr
2025
Regisseur
Büyükatalay, Mehmet Akif
Verleih
Real Fiction
Starttermin
01.01.1972
Ein Haus brennt. Ein Flüchtlingsheim geht in Flammen auf. Menschen sterben auf grausame Weise. Mit diesen Bildern beginnt Mehmet Akif Büyükatalays „Hysteria“, doch die Bilder sind nicht echt. Natürlich sind sie das nicht, „Hysteria“ ist schließlich kein Dokumentar- sondern ein Spielfilm, doch ihre Künstlichkeit ist doppelt: Sie sind Bilder, die der Regisseur Yiğit (Serkan Kaya) für einen Film inszenieren lässt, in dem es um den Brandanschlag von Solingen geht, bei dem 1993 fünf türkischstämmige Menschen ums Leben kamen.
Ein wichtiges Thema also, dass Yiğit sich ausgesucht hat, selbst ein türkischstämmiger Mann, der jedoch selbst längst ein bourgioises Leben führt: Zusammen mit seiner Frau und Produzentin Lilith (Nicolette Krebitz) lebt er in einer ausladenden Altbauwohnung, kann augenscheinlich gut vom Filmemachen leben, hat sich in seiner Selbstwahrnehmung also mindestens ein, zwei Stufen von den Menschen türkischer Herkunft entfernt, über die er nun Filme dreht.
Der Dreh läuft auch gut, als Komparsen dienen unter anderem Männer aus einem nahe gelegenen Flüchtlingsheim, von denen einer nach Drehschluss eine Entdeckung macht: Ein Koran wurde in der Szene verbrannt, ein Sakrileg. Oder darf man, um die Nachstellung eines solchen Verbrechens möglichst authentisch zu gestalten, doch einen echten Koran verbrennen?
Hitzige Diskussionen entbrennen und mittendrin die Regieassistentin Elif (Devrim Lingnau), die auf Grund ihrer Herkunft selbst ein wenig zwischen den Stühlen sitzt. Um beim Dreh mitzuarbeiten tut sie alles, was Lilith und Yiğit verlangen, andererseits fühlt sie sich auch zu den Migranten hingezogen und versucht, deren Position zu verstehen.
Als das belichtete 16mm-Filmmaterial plötzlich verschwunden ist und der Verdacht auf die Migranten fällt, muss Elif schwierige Entscheidungen treffen.
Die Zahl deutscher Regisseure mit Migrationshintergrund nimmt stetig zu, eine positive Entwicklung, die allerdings dadurch geschmälert wird, dass Fördergremien und Redakteure von dieser Gruppe oft erwarten, doch bitte Filme über „ihre Leute“ zu drehen. Gesellschaftlich relevante Themen sollen verhandelt werden, da ist man auf der sicheren Seite, auch wenn das Publikum ausbleibt. Um solche Klischees geht es in „Hysteria“, um die Frage, wer auf welche Weise über welche Themen Filme machen kann und darf. Auf welche Weise dürfen migrantische Personen etwa dargestellt werden, gerade wenn in den Medien allzu oft nur dann über Migranten berichtet wird, wenn es einen Messerangriff gegeben hat. Hysterie herrscht oft in der öffentlichen Wahrnehmung, eine Haltung, die sich in „Hysteria“ im Mikroksmos eines Filmsets spiegelt.
Pointiert hält Mehmet Akif Büyükatalay dabei viel Bälle in der Luft, spielt mit Paranoia-Motiven, zeigt das unterschwellige Vorurteile durchaus auch von einem Menschen ausgehen können, der selbst migrantischer Herkunft ist und lässt lange offen, wer denn nun das Filmmaterial gestohlen hat. Doch trotz des cleveren Konstruktes, der treffenden Dialoge kann „Hysteria“ nie ganz dem Problem entgehen, in gewisser Weise genau das zu sein, was er eigentlich zu dekonstruieren denkt: Ein Thesenfilm. Zwar klüger und ambitionierter als die Ziele des Spotts, aber am Ende doch aus derselben Ecke des deutschen Kinos.
Michael Meyns