Code der Angst

2013 wurde der LGBTQ+-Aktivist Eric Lembembe in Kamerun auf grausame Weise ermordet – weil er homosexuell war. Appolain Siewe nimmt dieses Schwerstverbrechen zum Anlass und beschäftigt sich in der Doku „Code der Angst“ mit der Frage, wieso der Hass auf queere Menschen und ihre Unterstützer in Kamerun so groß ist. Gibt es eine Erklärung für die kollektive Homofeindlichkeit im Land? Das ist viel Inhalt und Stoff für 80 Minuten, doch Siewe gelingt es, daraus einen stringenten, aufklärerischen Film zu machen, der mit seinem Verweis auf die Kolonialvergangenheit elementare Bezugspunkt schafft.

 

Über den Film

Originaltitel

Code der Angst

Deutscher Titel

Code der Angst

Produktionsland

DEU

Filmdauer

82 min

Produktionsjahr

2023

Regisseur

Siewe, Appolain

Verleih

Drop-Out Cinema eG

Starttermin

05.06.2025

 

Der „Fall Lembembe“ ist leider keine Ausnahme. Vor allem in Kamerun sehen sich Angehörige der LGBT-Community Diskriminierung und großer Gefahr ausgesetzt, immer wieder kommt es zu schweren Gewaltverbrechen bis hin zu Todesfällen. Appolain Siewe, selbst Kameruner, reist in „Code der Angst“ in seine Heimat um zu verstehen: Woher kommt die gesellschaftlich so weit verbreitete Ablehnung? Und warum unternehmen Politik, Justiz und Medien nichts dagegen?

Zu Beginn des Films blendet Siewe eine „Mauer der Erinnerung“ ein. Darauf sieht man die Fotos der jungen schwulen Männer, denen ihre Homosexualität zum Verhängnis wurde. Unter ihnen auch Lembembe. Seine Mörder rissen ihm Zunge und Augen raus, später entsorgten sie ihn menschenunwürdig auf einer Müllkippe. Jean-Claude Mbede ist ein anderes Beispiel. Er wurde vor einigen Jahren zu drei Jahren Haft verurteilt. Warum? Weil er einem Mann eine SMS schrieb. Darin stand: „Ich liebe dich.“ Der Entzug von Freiheit und jeglichen Menschenrechten nur, weil man jemanden liebt.

Siewe spricht mit vielen LGBTQ-Aktivisten und Menschen, die Lembembe kannten. Gemeinsam geht er mit einem von ihnen in eine Gaybar im Szeneviertel Jaundes, der Hauptstadt Kameruns. Dort erschließt sich auch, wie Siewe auf den Namen seines Films kam. Die queeren Personen dort nutzen Codes und handeln versteckt. Sie sind zum Leben im Verborgenen verdammt. Daher verwenden sie jene „Codes der Angst“. Der Film zeigt aber auch, dass nicht nur Personen der Regenbogen-Community gefährlich leben, sondern gleichsam jene, die sich für mehr Gleichberechtigung und Toleranz einsetzen. Wie die Unterstützerin Alice Knoom, die bekannteste Menschenrechtlerin des Landes.

In den Interviews stellt der stets feinfühlig agierende und interessierte Siewe zielgerichtete Fragen, um mehr über dieses kulturell verwurzelte und gesamtgesellschaftliche Problem zu erfahren. Siewe sagte kürzlich dem Amnesty Journal, einem Menschenrechts-Magazin, dass er Filme mache, da er dadurch lerne – über das Leben, über sich und die Menschen in seinem Umfeld. Kurz nach der Rückkehr nach Kamerun (er lebt eigentlich in Berlin), lernt er etwas, dass er nicht erwartet hätte: Er hat sich von seinen Ex-Schulkameraden und der Familie entfremdet. Ihre Sichtweisen und Einstellungen sind nicht mehr kompatibel.

Ein Freund beschimpft ihn, weil Siewe ein Film zum Thema „Homosexualität“ dreht. Noch schlimmer aber die Reaktion seines Vaters: Er verweigert das Widersehen und will nichts mehr mit seinem Sohn zu tun haben („Homosexuelle sind schlimmer als Tiere“). Später spricht Siewe mit einer 90-jährigen Kamerunerin und befragt sie zum Thema Homosexualität. Ihre (erwartbaren) Aussagen lassen sich eins zu eins auf jene Auffassungen und Meinungen übertragen, die ein Großteil der Kameruner zu diesem Thema nach außen vertritt. Der Homosexuelle sei „eine Abweichung von der Natur“. „Ich wünsche mir das für mein Kind und Enkelkind nicht“, so die alte Dame.

Die Intoleranz gegenüber Homosexuellen und der Hass auf sexuellen Minderheiten in der gesamten Gesellschaft Kameruns lässt sich also auch im Mikrokosmos der eigenen Familie finden. Antiquierte Ansichten, Engstirnigkeit und fehlende Offenheit in den eignen vier Wänden. Doch lässt sich wirklich nur so erklären, warum dieses Thema im Land so stark tabuisiert ist? Die Antwortet lautet nein und ist viel komplexer. Erklärungen, für die man in der Geschichte Kameruns (und ganz Afrikas) weit zurückgehen muss, liefern Ethnologen und Sozialwissenschaftler.

Und man erfährt erstaunliches: Einer der Wissenschaftler bezieht sich auf den Forschungsreisenden Günther Tessmann. Dieser hielt sich im frühen 20. Jahrhundert in der (damals noch deutschen Kolonie) Kamerun auf und lebte beim Stamm der Bafia. Unter ihnen war Homosexualität verbreitet und wurde regelrecht zelebriert, war sogar „höher angesehen als Heterosexualität“. Mit dem Ankommen der europäischen Kolonialherren in Afrika setzte eine schleichende Veränderung ein. In Kamerun waren es die Deutschen, die im frühen 19. Jahrhundert die ersten Regeln und Gesetze erließen und homosexuelle Handlungen kriminalisierten. Diese haben sich über die Jahrzehnte tief in die Denkweisen, Einstellungen und Weltbilder der Menschen eingegraben – bis heute.

 

Björn Schneider

Mehr lesen

Neuste Filmkritiken

ℹ️ Die Inhalte von programmkino.de sind nur für die persönliche Information bestimmt. Weitergabe und gewerbliche Nutzung sind untersagt. Nachdruck nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Redaktion. Filmkritiken dürfen ausschließlich von Mitgliedern der AG Kino-Gilde für ihre Publikationen verwendet werden.