Man kann sich kaum widerlichere Verbrechen vorstellen, als sexuellen Missbrauch von Kindern. Darauf aufmerksam zu machen wäre jeder Ehre wert, doch was Liz Wieskerstrauch in ihrem Film „Blinder Fleck“ macht, ähnelt eher einer Verschwörungserzählung als einem Dokumentarfilm und insinuiert, dass es in Deutschland kriminelle Netzwerke gibt, die bewusst Psychosen auslösen, um Menschen gefügig zu machen und zu vergewaltigen.
Über den Film
Originaltitel
Blinder Fleck
Deutscher Titel
Blinder Fleck
Produktionsland
DEU
Filmdauer
80 min
Produktionsjahr
2024
Regisseur
Wieskerstrauch, Liz
Verleih
Verleih N.N.
Starttermin
24.04.2025
Von Nadeln im Genitalbereich ist die Rede, von Folter mit Stromschlägen, von Babys, die beim Stuhlgang ständig schreien, einen erweiterten After haben. Von bewusst herbeigeführten Dissoziativen Identitätsstörungen, die Opfer vergessen machen sollen, dass sie rituell gefoltert und vergewaltigt werden, die dazu trainiert wurden, Schmerzen auszuhalten, keinen
Ekel zu empfinden, ihren Tätern nicht zu zeigen, wie sie leiden.
Harter Tobak, den Liz Wieskerstrauch in ihrem Film „Blinder Fleck“ auftischt, Szenen, die man eher in einem besonders brutalen Horrorfilm der Sorte „Torture-Porn“ vermutet würde. Und doch passiert das geradezu täglich, so zumindest der kaum verhohlene Tenor des unabhängig produzierten Films, der keine Förderung erhielt, nicht von der Redaktion eines Fernsehsenders betreut wurde, sondern ausschließlich durch Spenden finanziert wurde.
Doch ob an diesen Vorwürfen etwas dran ist muss stark bezweifelt werden. Dass es tatsächlich pädophile Täter gibt, die satanische Messen durchführen, um ihre Perversionen auszuleben ist ein Vorwurf, der seit Jahren immer wieder aufkommt, nur: Beweise haben sich dafür nie auch nur Ansatzweise gefunden. Allein die Aussagen der mutmaßlichen Opfer gibt es, die aber möglicherweise eher als Opfer ihrer Therapeuten gelten müssten, wie vor erst zwei Jahren ein ausführlicher Artikel im Spiegel darstellte.
Einige mutmaßliche Opfer kommen auch in „Blinder Fleck“ zu Wort, ausschließlich Frauen, die auf fast schon beiläufige Weise von schwerstem Missbrauch berichten, die scheinbar vor der Kamera ihre Multiplen Persönlichkeiten zeigen, die im Fall einer Mutter, die neben ihren auch schon erwachsenen Tochter sitzt und gar davon berichtet, die Tochter den Tätern zugeführt zu haben und selbst bei einem Ritual jemanden erstochen zu haben.
Kann man das glauben? Muss man das glauben? Gerade im Zug der #metoo-Bewegung wurde der Ruf laut, Anklägern bedingungslos zu glauben und allein auf Grund von Beschuldigungen Konsequenzen zu ziehen. Dass es notwendig ist, Menschen, die von Straftaten, von Missbrauch berichten, zuzuhören ist selbstverständlich richtig. Es ist wichtig, Vorwürfe ernst zu nehmen, mutmaßliche Opfer zu schützen. Doch dann beginnen die Probleme. Gerade Menschen mit Dissoziativen Identitätsstörungen, können sich an Erlebtes, das oft lange Zeit unterdrückt wurde, nur bruchstückhaft erinnern. Als Zeugen kommen sie daher nur bedingt in Frage. Bedeutet das nun, dass bestimmte Taten nie stattgefunden haben oder das es einfach keine Spuren gibt?
Der Kriminalbeamte Axel Petermann, der als Fallanalytiker gearbeitet hat und auch im Bereich der rituellen Gewalt recherchiert hat, kommt in „Blinder Fleck“ zu Wort. Er betont jedoch, dass er im Laufe der Jahre nie auch nur die geringsten Beweise für Vorwürfe dieser Art gefunden hat, was dann doch zu denken gibt: Die Täter müssten dementsprechend geradezu Superverbrecher sein, die in der Lage wären, schwerste Verbrechen bis hin zu Morden zu begehen, ohne auch nur die kleinste Spur zu hinterlassen.
Der Auftritt von Petermann könnte suggerieren, dass auch die Regisseurin Liz Wieskerstrauch ihr Thema mit der nötigen Skepsis angeht, doch mehr als ein Feigenblatt ist der Polizist nicht. Denn weit mehr Raum bekommen Psychologen, Heilpraktikerinnen und Anwälte, die mal mehr, mal weniger deutlich insinuieren, dass es in Deutschland schwerste Formen der rituellen Gewalt gibt. Um welche Anzahl an angeblichen Verbrechen es dabei geht bleibt offen, bewusst vage bleibt der Film, deutet nur an, legt sich nicht fest, aber dass da draußen Schlimmes passiert, das soll suggeriert werden. Die Tatsache, dass nichts davon zu beweisen ist, dient – man kennt das Muster auch von anderen Querdenkern und Verschwörungserzählungen – schließlich dazu, gleich „die da oben“ als Ganzes zu beschuldigen, die ganz offensichtlich so mächtig sind, das sie ihre Taten verheimlichen können.
Besonders bedauerlich ist der problematische Ton des Films, da es natürlich eine enorme Anzahl von Missbrauchsfällen gibt, dass es ohne Frage vorkommt, dass wirklichen Opfern nicht geglaubt wird, dass Täter mit ihren schrecklichen Taten davonkommen. Ihnen erweist Liz Wieskerstrauch mit „Blinder Fleck“ einen schlechten Dienst, denn ihre Vorwürfe und Anklagen bewegen sich in solch abstrusen Gefilden, dass größte Skepsis notwendig erscheint. Missbrauch, auch an Kindern ist fraglos ein Problem und ein Thema, dass Aufmerksamkeit verdient, aber nicht durch einen fahrlässigen, höchst spekulativen Film wie diesem.
Michael Meyns